„Muss das jetzt noch sein? Willst du nicht lieber noch warten, bis die Kinder aus dem Gröbsten raus sind? Du hast doch einen Mann, du musst nicht studieren? Warum reicht dir dein Job nicht? Du musst aber doch für die Kinder da sein! Du bist die Mutter, die Kinder brauchen dich!“
Diese Aussagen stammen nicht aus dem 19. Jahrhundert, sondern bekam ich im Jahre 2019 zu hören, als ich meinen engen Angehörigen von meiner Überlegung zu studieren erzählt habe. Ich bin Jasmin, 31 Jahre alt, verheiratet und Mutter von 2 Kindern. An der EUFH in Rheine studiere ich im 4. Semester Physician Assistant.
Ein halbes Jahr mit vielen Tränen, Ängsten und Überlegungen habe ich gebraucht, bis ich mich an der EUFH beworben habe. Nach meiner Bestätigung erfolgte dann die Planung. Wer nimmt wann die Kinder? Wer kann die Kinder nehmen? Januar 2020: der Plan stand, jeder wusste Bescheid. Mein Arbeitsplatzwechsel, vom Teilzeitjob in einer Hausarztpraxis zum Schichtdienst im Krankenhaus, war auch geregelt. Meine Eltern fanden meine Idee immer noch nicht gut, aber sie helfen mir so gut sie es können, genauso wie meine Geschwister. Und auf einmal zerplatze mein Plan. Was daran schuld war? Natürlich Corona. Der Kindergarten fiel weg, eine Notbetreuung stand uns nicht zu. Also Kalender rausholen und wieder planen. Die Kinder, vor allem meine Tochter, verstanden nicht, warum Mama, die immer da war, jetzt weniger Zeit hatte. Nun sitzt sie vorm Laptop, anstatt mit den beiden im Sandkasten zu spielen oder den beiden was vorzulesen. Ich habe meinen Kindern erzählt, warum das so ist, nach mehrfachen Erklärungen haben beide es verstanden. Und es ist okay. Immer wieder kommen von Außenstehenden Aussagen wie: „Willst du deine Kinder überhaupt? Du musst als Mutter doch für die Kinder da sein. Die ist bestimmt in einer Selbstfindungsphase. Guck, sie hat so viel abgenommen, weil es ihr zu viel geworden ist. Die ist keine richtige Mutter, die ist nur egoistisch.“ Es gibt Tage, da interessieren mich solche Aussagen nicht und dann gibt es Tage, ja da heule ich. Da fang ich an, an mir und meinen Weg zu zweifeln. Und ich beginne den Menschen zu glauben. In solchen Momenten schreibe ich meiner Freundin. Oder auch persönlicher Therapeutin. Sie wäscht mir den Kopf. Ich gehe duschen, weine nochmal und ziehe mich an. Ich gehe ins Schlafzimmer meines Sohnes, der schläft schon, also bekommt er einen Kuss. Meine Tochter ist noch wach. Ich lege mich zu ihr, lese ihr etwas vor, gebe ihr einen Kuss und warte, bis sie eingeschlafen ist. Dann setze ich mich vor den Laptop und lerne.
Zur Ausgangsfrage, ob studieren mit Kind funktioniert: Ja, es funktioniert. Man benötigt Organisation. Ich besitze vier Kalender. Einen normalen Wandkalender, einen Taschenkalender, eine Familienapp mit Kalender und einen Wochenplaner. Es wird alles eingetragen. Auch wenn es Freizeit mit der eigenen Familie ist. Damit nichts vergessen wird. Auch die Paarzeit wird eingetragen, damit niemand auf der Strecke bleibt. Man braucht immer einen Plan B und am besten noch einen Plan C und D. Der Unterscheid zwischen Studieren mit Kind und ohne ist, dass du viel mehr Zeit hast, um zu lernen und dich zu regenerieren. Kinder werden krank. Kinder müssen verstehen, warum und wieso die Mama auf einmal weniger Zeit hat. Und sie sind immer da. Ich würde lügen, wenn ich sage, das macht man mit links. Die Wahrheit ist, es ist verdammt anstrengend. Ich habe mindestens schon dreimal daran gedacht aufzugeben. Mein Problem ist, dass ich unfassbar stur bin und mir aufgeben nicht liegt. Außerdem hätten die Zweifler dann Recht und das geht gar nicht. Also wenn ihr mit
Kindern studieren möchtet, rate ich euch dazu, macht es. Ihr braucht aber Menschen, die euch gegebenfalls in den Hintern treten. Die Aussagen, die gegenüber mir getätigt worden sind, wünsche ich euch nicht, aber auch mit diesen müsst ihr rechnen. Manchmal prallen sie an euch ab und manchmal nehmt ihr sie viel zu sehr an. Wenn es so weit ist, dann weint, findet es scheiße, geht in den Wald, schreit Bäume an und dann macht ihr weiter. Ihr seid nicht zu alt zum Studieren, aus dem Gröbsten sind die Kinder nie raus. In der heutigen Zeit sollte man sich für die Rente nicht auf den Partner allein verlassen. Man darf sich immer neuen Herausforderungen stellen. Kinder brauchen ihre Mutter, das ist richtig, aber eine Mutter ist nicht nur eine Mutter, sondern auch ein Individuum. Ihr vermittelt euren Kindern auch etwas. Ich zitiere meine Tochter: „Mama, du hast einen Lernlaptop. Alle anderen haben ein Spiellaptop. Ich möchte auch einen Lernlaptop haben so wie du Mama.“ Diesen Satz hätte ich nie von meiner Tochter gehört, hätte ich nicht angefangen zu studieren.
Jasmin ist übrigens Mitglied beim Bundesverband der Physician Assistant Studierenden. Mehr darüber erfährst Du hier.
Du möchtest Wissen wie die Fliedner Fachhochschule Dich beim Studium mit Kind unterstützt? Dann schau Dir diesen Beitrag an.