Seit Anfang des 21. Jahrhunderts hat das niederländische Gesundheitssystem einen signifikanten Wandel erlebt, der durch die Einführung zweier neuer Berufe gekennzeichnet ist: Advanced Nurse Practitioner (ANP) und Physician Assistants (PAs). Diese Entwicklung bietet wertvolle Einblicke und Lernmöglichkeiten für Deutschland, vor allem in Bezug auf die Rolle der Physician Assistants angesichts der Herausforderungen im Gesundheitssektor. Die Niederlande haben in den mehr als 20 Jahren nach der Implementierung der Profession ein rechtlich fest verankertes Berufsbild geschaffen. In Deutschland steht im kommenden Jahr 2025 das 20 jährige Jubiläum der PA Profession an.
Der niederländische Ansatz
Damit auch zukünftig die medizinische Versorgung sichergestellt werden kann, hat man sich in den Niederlanden im Jahr 2000 für die Einführung des Berufsbildes des Physician Assistants entschieden, das bereits in den USA seit mehreren Jahrzehnten einen enormen Einfluss in der Gesundheitsversorgung darstellt. In den Niederlanden sind PAs gemäß dem BIG-Gesetz befugt, eigenständig medizinische Aufgaben, einschließlich der Verschreibung von Medikamenten, zu übernehmen.
Das BIG-Gesetz in den Niederlanden regelt die Zulassung und Registrierung bestimmter Gesundheitsberufe. Die Eintragung im BIG-Register ist notwendig, um in den Niederlanden eigenständig praktizieren zu dürfen. Darüber hinaus wird durch das Register sichergestellt, dass nur qualifizierte Fachkräfte bestimmte geschützte Berufsbezeichnungen verwenden und bestimmte medizinische Tätigkeiten ausüben dürfen.
Über zwei Jahrzehnte hinweg haben sie sich als zentraler Faktor für die Stabilität und Effizienz des Gesundheitssystems erwiesen. Zudem benötigt es für viele medizinische Tätigkeiten durch die hohe Qualifikation der PAs und die rechtliche Situation in den Niederlanden keine Ärzt:innen, wodurch Ressourcen gespart werden können. Im Rahmen der Substitution übernehmen sie Aufgaben, die zuvor Ärzt:innen vorbehalten waren, bei wissenschaftlich nachgewiesener gleichbleibender Qualität.
Die Erfolge der Niederlande als Vorbild
Der erfolgreiche Einsatz von Physician Assistants in den Niederlanden zeigt, wie effektiv sie die Arbeitsbelastung reduzieren und die Kontinuität in der Patientenversorgung herstellen, da sie länger an einem Arbeitsplatz verweilen als Assistenzärzt:innen. Gerade in der ambulanten Versorgung ist Kontinuität besonders hilfreich, da die Patient:innen bekannt sind und so eine bessere und individuellere Versorgung gewährleistet werden kann. Wissenschaftliche Auswertungen haben gezeigt, dass die Kontaktzeit der PAs zu Patienten deutlich höher sind, als die der Ärzt:innen. Zudem sind weitere positive Auswirkungen von Physician Assistants im niederländischen Gesundheitssystem wissenschaftlich belegt worden. In der Studie wurde die Wirksamkeit des Einsatzes von PAs anhand von Best Practices qualitativ und quantitativ untersucht. Die Variation bestand darin, dass PAs in der Klinik oder in der Ambulanz arbeiten oder eine Kombination aus beiden. Dazu wurden ein Allgemeinkrankenhaus, zwei führende klinische Krankenhäuser und ein Universitätsklinikum herangezogen. Bei den Best Practices handelte es sich um Fallbeschreibungen und Szenarioberechnungen.
Auch zeigt sich, dass Ärzt:innen die Zusammenarbeit mit Physician Assistants als wichtigen Teil des medizinischen interprofessionellen Teams schätzen.
Vergleich Niederlande und Deutschland
Da die Niederlande mit ca. 17,5 Millionen Einwohner:innen im Vergleich zu Deutschland mit rund 83 Millionen ein kleineres Land sind, zeigt sich eine entsprechend geringere Anzahl an praktizierenden Ärzt:innen. Was allerdings heraussticht ist die Arztdichte – denn diese ist beinahe identisch. Die Ausgangslage der ärztlichen Versorgung in den Niederlanden ähnelt der in Deutschland deutlich. Auch wenn beide Länder aktuell jeweils rund 2.000 Physician Assistant Absolvent:innen vorweisen, ist die Verteilung in Deutschland noch deutlich geringer. Zum Vergleich: Auf 10.000 Einwohner:innen kommen in Deutschland 44 Ärztinnen und 0,25 PAs, in den Niederlanden sind es 41 Ärzt:innen und 1,2 PAs. (Stand 2020).
Anhand dieser Zahlen zeigt sich, dass in den Niederlanden ein Verhältnis von einem Physician Assistant zu 34 Ärzt:innen besteht – in Deutschland liegt dieses Verhältnis bei einem Physician Assistant zu 176 Ärzt:innen. Die deutliche Zunahme von hochschulischen Angeboten für den Physician Assistant in Deutschland und die damit verbundenen Immatrikulationszahlen zeigen jedoch, dass Deutschland deutlich mehr Physician Assistants als die Niederlande ausbildet und damit auch eine steigende PA Dichte in Deutschland zu erwarten ist.
Parallelen und Potenziale für Deutschland
Auch in den Niederlanden steht die Ärzteschaft vor ähnlichen Herausforderungen. Immer mehr Ärzt:innnen arbeiten in Teilzeit. Ein durchschnittlicher Facharzt arbeitet mehr als 50 Stunden pro Woche. Auch die Notwendigkeit, dass Hausärzt:innen ihre eigenen eine Praxis haben oder sich als Fachärzt:in in eine Partnerschaft einzukaufen, wird immer seltener. Gleichzeitig nimmt der Mangel an Nachwuchsärzt:innen zu, die als Assistenzärzt:innen in bestimmten Sektoren immer seltener arbeiten wollen. Die Niederlande haben gezeigt, dass der Einsatz von Physician Assistants einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforderungen leisten kann. Ihre Integration sowohl im ambulanten als auch stationären Sektor des Gesundheitswesens hat zu einer durchgängigen und qualitativ hochwertigen Versorgung geführt. Deutschland könnte durch die stärkere Einbindung von PAs eine ähnliche Entlastung und Verbesserung im Gesundheitswesen erzielen.
Lernen von den Nachbarn
Die Niederlande bieten ein greifbares und erfolgreiches Beispiel für die Integration von Physician Assistants in das Gesundheitswesen. Diese Entwicklung bietet wertvolle Erkenntnisse für Deutschland. Der zunehmende Bedarf an Gesundheitsdienstleistungen und die sich wandelnden Arbeitsmarktbedingungen lassen erwarten, dass die Nachfrage nach PAs auch in hier weiter steigen wird. Wir in Deutschland stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie die Niederlande und können von der dortigen erfolgreichen Strategie profitieren, um das eigene Gesundheitswesen zu stärken.